Adieu Bundesverband


Auf der vergangenen Landesmitgliederversammlung verabschiedete der Landesverband Rheinland-Pfalz neben einer Position zu attac folgendes Positionspapier zu dem Verhältnis zum Bundesverband von JungdemokratInnen / Junge Linke:

Erklärung des Landesverbandes der JD/JL Rheinland-Pfalz:

„Wenn es der Ablauf der Ereignisse nötig macht, bewährte Organisationsformen infragezustellen und andere Organisationsformen zu entwickeln, dann verlangt es nicht nur die Freundlichkeit, sondern die Ehrlichkeit gegenüber SympathisantInnen und BündnispartnerInnen, diesen Ablauf der Öffentlichkeit kundzutun. Wenn die bisher genutzten Organisationsformen zudem in Zukunft von Menschen genutzt werden, die unser Ziel einer Befreiten Gesellschaft nicht zu teilen scheinen oder zumindest verwechseln mit einer ideellen Gesamtbürgerinitiative, dann verlangt es darüber hinaus unser politisches Ziel selbst, das interessierte Publikum über die Veränderung aufzuklären. Aus diesem Grund, im Bewußtsein der Schwere unserer Verantwortung – und mit einiger Lust am Pathos- haben wir diese Resolution verfaßt. Die Aufgabe einer marxistischen Organisation ist es, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein geknechtetes und unfreies Wesen ist. Um dies zu erreichen, müssen Menschen für das Ziel gewonnen werden, das kapitalistische System zu überwinden. Dem ist ihre Kenntnis der kapitalistischen Produktionsweise und des bürgerlichen Staates vorausgesetzt, denn diese Kenntnis erst ist Grund einer vernünftigen Kritik. An diesem Maßstab muß sich auch jede andere, unzureichende, falsche Kritik der Verhältnisse messen lassen. Der kumpelhafte Schulterschluß mit ‚dem Volk‘ oder ‚der Linken‘, das Beschränken auf scheinbar naheliegende Teilforderungen unter Verschweigen der eigentlichen Ziele mögen die Akzeptanz einer Organisation in der Öffentlichkeit erhöhen, stehen aber unserem politischen Ziel entgegen. Dies aber ist nicht die Überzeugung unserer innerverbandlichen Gegner. Der jahrelang schwelende Streit geht anderslautenden Gerüchten entgegen nicht darum, ob man außer der Aufforderung zur Revolution überhaupt nichts äußern dürfe. Das behauptet niemand. Auch finden sich in der Verbandslinken keine Verelendungsapologeten, die jede aktuelle Erleichterung der Misere als Abkehr vom hehren Ziel geißelten. In ihr haben sich die zusammengefunden, die innerhalb des Bundesverbandes an bestimmten Erkenntnissen festhalten. Derjenige, der noch so menschenfreundliche und die bürgerlichen Verhältnisse transzendierende Forderungen formuliert, aber wider besseres Wissen ihren die bestehenden Verhältnisse sprengenden Charakter verschweigt, lügt. Wer behauptet, der Weg in die Befreiung sei ein Kontinuum von kleinen Reformen und jede halbwegs erfolgreiche Abwehr gegenüber der Macht der Verhältnisse sei ein erster Schritt auf diesem Weg, sagt die Unwahrheit. Wer in herrschende ‚Diskurse‘ eingreifen will, ohne zugleich das Moment der Herrschaft in ihnen zu entlarven, affirmiert diese Herrschaft. Diejenigen, die seit Jahren ihre ergebnislosen Forderungen mit miserablen, widersprüchlichen, falschen, oberflächlichen ‚theoretischen Einleitungen‘ und ‚Begründungen‘ versehen und zugleich behaupten, über die alten Hüte wissenschaftlicher Gesellschaftskritik längst hinausgegangen zu sein, schaden unserem Bemühen, die Verhältnisse umzustürzen.“

Dies ist ein Auszug aus der Resolution der „Jungen Linken“, in der sie vor 10 Jahren die Trennung vom Bundesverband „JungdemokratInnen/Junge Linke“ beschloss. Wie wir im Laufe der letzten Jahre immer wieder feststellen mussten, sind die Probleme beim Bundesverband fast die gleichen geblieben. Wir sind an einen Punkt gelangt, an dem die Zusammenarbeit mit dem Bundesverband für uns nicht mehr in Frage kommt. Wir haben versucht, auf den Bundesverband mit unseren beschränkten Mitteln, aber vielen Worten einzuwirken. Doch die Versuche einer inhaltlichen Neuausrichtung oder auch nur das Formulieren einer Kritik am Reformismus des Verbandes wurden wahlweise als „menschenverachtend“ oder als Propagieren von Verelendungstheorien abgekanzelt – weil wir uns nicht der sozialdemokratischen Forderung nach möglichst vielen möglichst kleinen Schritten zum Glück anschließen wollten. Unser Verständnis von Kapitalismus galt deshalb als falsch, weil wir uns nicht auf offensichtliche – meist personalisierte – Herrschaftsmechanismen beschränkten, sondern soziale Prozesse – deren Logik und ideologische Verknüpfung mit diesen untersuchen wollten. Unsere Kritik an der „Bündnispolitik“ des Bundesverbandes mit affirmativen bis reaktionären Organisationen (z.B. bei Attac) und unser Fokus auf radikale Gesellschaftskritik wurde belächelt bis bekämpft. In spezifisch linker Theoriefeindlichkeit wurde erklärt, dass so keine Leute erreicht und mobilisiert werden könnten. Offenkundig hat sich beim Bundesverband in den letzten 10 Jahren kaum etwas getan – denn aus ähnlichen Gründen stellte schon einmal ein Teil des Verbandes die Arbeit in ihm ein.

Doch es sind nicht nur die inhaltlichen Differenzen, die uns zum Schluss brachten, dass eine Zusammenarbeit mit dem Bundesverband bis auf weiteres sinnlos ist. Es war vor allem die Art und Weise, wie mit unserer Kritik umgegangen wurde, und die offensichtliche Heuchelei, wenn es galt, die in jedem Nebensatz propagierte „radikale Demokratie“ in ihrem Sinne Praxis werden zu lassen. Deutlich wurde dies unter anderem bei der letzten Bundesdelegiertenkonferenz.

Nach den letzten Konferenzen, bei denen die Beschlüsse einen klar etatistischen, reformistischen oder größenwahnsinnigen Charakter hatten, versuchten wir – in wohl gutgläubigem Demokratieidealismus – mit der Einführung einiger politischer Mindeststandards zu beginnen. Die bewusst harmlosen Texte, die nur eine Ablehnung von Konsumkritik und endlich den Austritt von Attac forderten, wurden aber als „Provokation“ bewertet. Die Reaktionen im Vorfeld schienen von der Panik getrieben, dass hier eine Zerstörung des Verbandes angestrebt wurde. Ähnlich lief dann auch die Konferenz ab. Schon das Motto war als klare Stellungnahme zu lesen [sic!]: „Nüscht verändern verändert nüscht: Radikal reformen statt rumsitzen und Tee trinken“ . In der Absicht geschrieben, uns zu kritisieren, dient es wohl am ehesten als Zeugnis der radikalreformistischen Ideologie, wie sie durch den Verband weht. Es wird sich als aktiver Teil der Linken gefeiert, der statt zu reden lieber zur Tat schreitet und Theorie nur noch als Handlungsanweisung für die Praxis zu missbrauchen gedenkt. Der offensichtliche Widerspruch im eigenen Selbstverständnis, sich für Reformen einzusetzen und dafür radikale Gesellschaftskritik zu Gunsten von Anschlussfähigkeit für die herbeifantasierten Massen aufzugeben, während man gleichzeitig in völliger Bedeutungslosigkeit agiert, wird nicht einmal thematisiert – wer es tut, macht sich, wie erwähnt, als Anhänger von Verelendung verdächtig.

Diese Einstellung zog sich durch alle Diskussionen. Als es dann so aussah, als könnte es für einen Attac-Austritt eventuell eine Mehrheit geben, setzten die Gegner_innen des Austritts alle satzungsgemäßen Mittel ein und vertagten die Diskussion kurzerhand auf einen Zeitpunkt, wo ihnen die Mehrheitsverhältnisse sicherer schienen – um ein Jahr. Es wurde deutlich, dass ihnen egal ist, wie ihre Überzeugungen durchzusetzen sind, so lange sie am Ende die Sieger sind. Wir könnten uns auf ihre Ebene begeben, alle formaldemokratischen Register ziehen, jeden Graubereich der Satzung ausloten und irgendwie einen politischen Sieg davontragen. Aber das ist nicht unser Verständnis von Kritik, nicht unser Verständnis eines Verbandes, in dem wir mitwirken wollen, und uns auch schlicht die Zeit nicht wert.

Hierzu wieder die Junge Linke:

„Sie haben in ihrer Praxis ihre Prinzipien ad absurdum geführt. Wir, die wir hiesigen ‚demokratischen Spielregeln‘ für Ordnungsprinzipien der Herrschaft halten, haben uns demgegenüber bemüht, die Satzung einzuhalten und das Argument bestimmend für die Auseinandersetzung sein zu lassen. Eine Gruppe, die auf eine Weise Politik treibt, wie unsere Gegner es tun, ist nicht willens, Kooperations- Bündnis- oder auch nur Gesprächspartner zu sein.Es besteht die Gefahr, daß ihre Aktionen den Verband zerstören – ungeachtet ihrer verbandsfetischistischen Feier der Jungdemokraten-Tradition. Sie scheinen lieber keinen Verband zu wollen als einen Verband mit uns.“

Es geht uns dabei nicht darum zu sagen, wir seien wehrlose Opfer. Sicher hätten wir, wären wir an einem harmonischen Verband interessiert, des öfteren weniger Kritik, weniger Polemik und mehr Verständnis zeigen können. Aber unser Ziel ist kein einheitlicher Jugendverband, sondern die Möglichkeit zu bieten Kritik zu üben. Dies ist nicht zu machen mit Lügen um der Harmonie willen. Es sei ebenfalls erwähnt, dass natürlich nicht alle im Verband so denken wie oben beschrieben wird – es ist aber leider die Verbandsmehrheit, die dann doch so deutlich ist, dass eine Änderung nicht abzusehen ist. Wir wollen gerne mit jedem in diesem Verband, der diese oder eine ähnliche Kritik am Bundesverband teilt, zusammenarbeiten, wenn sich die Gelegenheit ergibt.

Natürlich gab es im Bundesverband auch keine derart drastischen und illegalen Mittel gegen uns wie damals gegen die Junge Linke (siehe deren Resolutionspapier) – auch weil wir meist gar keine Chance auf eine Mehrheitsposition hatten. Das ändert nichts an unserer Kritik und unserer Entscheidung, nicht mehr mit dem Bundesverband zusammen zu arbeiten.

Auch mag man sich fragen, warum wir für diesen Entschluss so lange brauchten.

Wir hielten – wohl fälschlicherweise – an der Hoffnung fest, Menschen bei JD/JL BV mit Argumenten überzeugen und den Bundesverband zumindest zu einigen akzeptableren Positionen bringen zu können. Wir mussten allerdings einsehen, dass diese Hoffnung illusorisch war, und das zumindest mit der aktuellen personellen Situation bei JD/JL BV keine Zusammenarbeit möglich ist. Wir werden uns nicht weiter in einem Verband einbringen, der uns als störender Fremdkörper im gesunden System wahrnimmt. Wir haben weder die Zeit noch die Lust, weiter eine aussichtslose Diskussion zu führen und Texte zu schreiben für Leute, die eine grundlegenden Feindschaft mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, zu Gunsten eines sozialdemokratischen Reformismus ablehnen.

Wir, Jungdemokrat_innen / Junge Linke Rheinland-Pfalz erklären, dass wir die Beschlüsse dieses Bundesverbandes als für uns nicht relevant betrachten und jede Verantwortung für seine Unternehmungen ablehnen. Dass wir, insofern sich unser Wunsch nach der selbsttätigen Entsorgung des ‚radikalreformistischen Rackets‘ altersdeterminiert oder durch einen ‚Wandel‘ erfüllen sollte, uns die Möglichkeit offen halten mit dem Bundesverband punktuell zusammenarbeiten zu können – und auch nur dann. Und zuletzt, dass wir – wann immer wir es als angebracht erachten – die offene Konfrontation mit dem Bundesverband von JungdemokratInnen / Junge Linke suchen und pflegen werden.

Der Landesverband Rheinland-Pfalz im November 2009